Die Gefühle, die man heimlich fühlt
Dienstag 11. August 2020
10:46 (3)
Es gibt Nuttenstängel und Instant Coffee zum Frühstück. Es ist heiß. Ich sitze wie jeden Morgen, auf der Hollywoodschaukel auf der hölzernen Terrasse des Hauses das ich gerade bewohne. Ich habe gestern Abend aufgehört zu schreiben, weil ich einen Joint geraucht habe, der mich total außer Gefecht gesetzt hat. Ich ging noch tiefer in die Misere rein, in der ich mich ohnehin befand. Selbstzweifel, Entfremdung, Abspaltung.
Cleo fing an laut zu miauen. Und zwar ununterbrochen, mehrere Minuten lang. Ich nahm Sie auf den Arm und hielt sie, so wie ich gerne gehalten worden wäre. Ich wiederholte: „You are save, you are loved, you are protected“. Es dauerte eine Weile bis sie anfing sich zu beruhigen. Sie war mein inneres Kind, dass nach Aufmerksamkeit schrie und gesehen werden wollte. Wir spielten zwei Stunden lang mit einem Weizenhalm auf dem Teppich im Wohnzimmer und ich beobachtete meine Katzen. Sie erinnern mich bisschen an meinen Bruder und mich. Cleo: wild und stürmisch, während Moses oftmals gar keine Chance hat zu Wort zu kommen.
Der Trip, den ich von dem Gras hatte, kostete mich fast meinen Verstand. Ich schämte mich. Ich schämte mich für diese Gefühle. Ich schämte mich vor allem für ihre Intensität. Ich schämte mich davor nicht happy happy zu sein. Ich schämte mich diese Schwere zu fühlen, ich schämte mich für das Schwarz. Ich schämte mich dafür, nicht dankbar zu sein. Nicht zufrieden. Nicht glücklich.
Ich versuchte mich nur auf die Katzen zu konzentrieren, auf einen gleichmäßigen Atem und die Abendsonne, die sich so wunderschön gold im Ofen spiegelte. Durch das offene, kleine Fenster im Bad sah ich den klaren blauen Himmel. Dieser Moment war pure Bliss, nur in meiner momentanen Realität gepaart mit ganz viel Anxiety. Die Geräusche von Außen waren so unreal laut. Ich hörte Kühe, die geschlachtet wurden und einen Motor, der immer lauter wurde und einfach nicht aufhören wollte. Diese ekelhaften Geräusche in der scheinbaren Idylle. So saß ich da, irgendwo zwischen Schönheit und Schwarz. Gerne wäre ich hinaus in den Garten gegangen, aber jede Begegnung mit der Außenwelt, die hallenden Stimmen der Nachbarn lösten Überforderung in mir aus, also schloss ich stattdessen die Fenster. Ich versuchte vergeblich alles auf den Joint zu schieben, doch insgeheim wusste ich, dass diese Gefühle ganz tief in mein Wesen verwoben sind. Ich habe noch nie an "Bad Trips" geglaubt.
Nachdem ich genug geatmet, mit dem Halm über den Boden gefahren bin und einen Süßen Nachtfalter aus Cleopatras fangen befreit habe, fing ich an zu malen. Erstmal mit ganz viel Farbe. Wie im Trance liefen meine Wachsmalstifte über das Papier und mit jeder Seite in meinem Notizbuch schien ich mich mehr zu beruhigen. Der größte Frieden stellte sich ein, je dunkler die kleinen Bilder wurden, die ich malte. Ich benutze jetzt nur noch Lila, Beige und Schwarz. Das Schwarz, dass so selten Raum in meiner Kunst bekommt, verlief auf dem nassen Papier wie der schwarze Schleim, der letztes Jahr bei einem Pilzausflug – in die schwarze Box, die sich traumabedingt in meinem Wesen eingenistet hat – überall aus den Wänden lief und mich in ein Gefühl der Enge und Ausweglosigkeit einhüllte.
Wo ich vor einigen Stunden noch am liebsten eingeschlafen wäre und erst in ein paar Monaten erwacht – oder gar verschwunden – war ich nun froh dieser Dunkelheit Ausdruck zu verleihen. Die Bilder sind furchtbar, selten habe ich so eine Finsternis gesehen. Ich liebe sie, weil sie so ehrlich sind und mir das Gefühl von Mut geben. Mut ihr ins Gesicht zu sehen, der Wunde die meine Seele schmückt und mir eine furchteinflößende Tiefe verleiht. Der Abgrund. Ich habe doch selbst in einem Gedicht gepredigt, wie wichtig es ist in ihn hinabzusteigen und doch sträube ich mich eigentlich immer davor.
"Limited me forever in service
to the infinite me
Walking together
Hand in hand.
Step by step
Towards the promised land
Utopia is real, a wise old woman said:
Look for it in the unknown.
In the darkest dark
Beyond the highest heights
Of your own.
Where the Abyss lies
Waiting for you to jump.
Screaming:
Paradise! Paradise!
Calling for your attention.
Inviting you to dive
into discomfort
And return in Expansion.
{...}"
Nach jeder Seite die sich füllte, war ich sauberer. Bis ich keine Angst mehr hatte und begann die Schönheit in dem Schmerz zu sehen. Selten war ich so ehrlich. Die Ehrlichkeit erfüllte mich mit stolz. Die Begegnung mit meinen Tiefen gab mir Kraft. Es ist nicht immer leicht ehrlich zu sein, wenn man sich stets bemüht, sich von dieser schwarzen Box abzuspalten, die nunmal irgendwie dazugehört und nur transformiert werden kann, indem man sie ansieht.
Jetzt fühle ich mich erleichtert, weil ich diese Dunkelheit annehmen kann, wenigstens in diesem Moment. Ich weiß sie wird nicht in paar Tagen verschwunden sein, ich weiß ich werde versuchen sie wieder zu verdrängen. Doch jetzt weiß ich auch, dass ich ihr Raum geben kann ohne dabei draufzugehen. Ich möchte sie als meines anerkennen, vielleicht fühlt sie sich dann erhellt, geschmeichelt und wird langsam nachgiebig. Ich möchte sie auch nicht glorifizieren, aber verneinen möchte ich sie auch nicht. Sie ist da, sie gehört dazu. Als Teil eines grenzenlosen bunten Konstrukts mit vielen Winkeln und Vergabelungen, als Counterpart der Dualität. Sie ist um mich herum, in den Fritten-, Wurstfressern und Colatrinkern auf der Strandmeile – die nicht einmal wissen, dass Sie existiert –, in Beirut, in Africa, vor allem im Westen, der Versucht sie durch den Konsum zu vertuschen und überall anders auf der Welt. Auch in mir drin, so schwer es auch sein mag mir das einzugestehen. Viele Frauen die ich kenne, machen gerade eine schwere Zeit durch. Ist es eine tiefe Transformation vor der ich stehe? Oder doch einfach nur der Abgrund? Was kommt nach dem Untergang?
Ihr Körper |
Der böse Mann |
Der Mann ist verwundet und sie auch |
Der Schmerz ist schwarz |
Das Schattenselbst stieg aus tiefster Verborgenheit empor und zeigte ihr Gesicht |
Ich will es einfach nicht wissen |
Der Seelenraub am eigenen Leib |
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